Der glückliche Kunstflieger

Ich ging an einem angenehmen Sommertag am Rande der Stadt spazieren, als ich an einer aufgelassenen Schreberkolonie vorbei kam. Mitten in einer langen Hecke stand ein verrostetes Tor offen. Daneben hingen ein paar verwitterte Schilder an einem Pfosten. Dahinter wuchsen die Hecken in einen schmalen Weg hinein. Neugierig bog ich ein. Es war kühl in diesem grünen Korridor, aber nicht unangenehm. Von der eigentlichen Kolonie war nichts zu sehen. Die Hecken standen dicht und ließen mich nicht dahinter blicken.

Nach vielleicht 10 Minuten gemächlichen Gehens endeten die Hecken rechts und links und vor mir öffnete sich eine weite, leicht hügelige Wiese. Ich trat ein paar Schritte auf das Gras, drehte mich um und schaute zu beiden Seiten. Auch aus dieser Richtung konnte man nicht sehen was – wenn überhaupt etwas – sich hinter den Hecken befand. Ich drehte mich wieder zurück, sah rechts vor mir ein kleines Wäldchen an die Wiese anschließen, vielleicht eine halbe Stunde Weg und beschloss dorthin zu gehen.

Das Gras stand mir bis zum Knöchel und roch frisch. Weiße Blümchentupfen durchzogen das Grün. Darüber durchzogen weiße Wolkentupfen das Blau. Dort sah ich einen kleinen, silbernen Punkt über den Himmel jagen. Ich verlor ihn aus dem Blick, aber schon einen Moment später tauchte er wieder auf. Aus einer ganz anderen Richtung und deutlich größer. Ein Kampfjet schoss über mich hinweg.

Ich blieb stehen, legte die Hände über meine Ohren und erwartete den Lärm der Düsen…doch kaum ein Sausen kam bei mir an. Erstaunlich leise das Ding. Erstaunlich auch welche Kunststücke der Flieger vollführte. Er drehte und rollte und flog große und kleine Kreise. Wie ein junger Hund rannte der Jet im Himmel über mir umher. Und kam dabei immer näher.

Bald konnte ich den Piloten, oder besser einen Helm mit Visier, sehen. Und er hatte auch mich bemerkt. Er flog immer engere Kreise um mich herum, kam mir dabei immer näher und wurde dabei auch immer langsamer. Am Ende stand er mit seinem Jet direkt über mir, vielleicht 5 Meter, die Spitze nach unten auf mich gerichtet, still in der Luft. Er winkte mir zu und ich ihm.

Was für ein begnadeter Kunstflieger das sein musste. Ich hätte nie gedacht, dass man mit einem Jet solche Manöver fliegen konnte. Vorsichtig glitt er in die Horizontale neben mich und flog langsam neben mir her. Auch jetzt war kaum ein Sausen zu hören. Erst öffnete sich die Kanzel, dann sein Visier und der Pilot und ich begrüßten uns.

Ein sympathischer Typ, dieser Pilot. Vielleicht Anfang 50. Wache Augen, breites Lächeln. Während er so neben mir her flog, spazierten wir Richtung des Wäldchens und unterhielten uns. Er war ein ehemaliger Kampfpilot und hatte zu seiner Ausmusterung seinen Jet mitnehmen dürfen. Jetzt flog er gerne Kunststücke bei gutem Wetter. Bei schlechtem ging er oft ins Kino oder traf sich mit ehemaligen Kameraden. Aber das Fliegen war ihm schon das liebste.

So verging die Zeit – für ihn tatsächlich wortwörtlich – wie im Flug und schon hatten wir die ersten Bäume erreicht. Ihm machte das nichts aus und er flog auch auf dem Waldweg langsam neben mir her. Bald jedoch stellte er seinen Jet an einer etwas breiteren Stelle am Rand ab und stieg aus. Er sei heute genug geflogen und würde jetzt wieder zurück in die Stadt fahren. Der Gedanke ihn zu fragen warum er nicht zurück in die Stadt flöge, kam mir nicht. Stattdessen fragte ich ihn, ob er denn nicht seinen Flieger abschließen müsse. Er lachte nur kurz und meinte, da ja eh kaum jemand so einen Jet fliegen könne, bräuchte er auch keine Angst haben, dass dieser morgen nicht mehr am selben Platz sein würde.

Er bot mir an mich in seinem Auto mit in die Stadt zu nehmen und da ich bereits etwas müde wurde nahm ich gerne an. Wir gingen noch ein kleines Stückchen weiter den Waldweg entlang bis eine Straße zwischen den Bäumen auftauchte. Für vielleicht 100 Meter verliefen Weg und Straße parallel bis sie sich wieder trennten. An dieser Straße stand dann auch das Auto des Piloten. Ein weißer, kleiner Wagen. Schlicht, aber praktisch. Wir stiegen ein und er fuhr los.

Auf der Fahrt durch den Wald plauderten wir weiter. Im Verlauf fragte ich ihn schließlich, wie er es denn schaffe solche unglaublichen Kunststücke zu fliegen. Meinem Verständnis nach wäre sowas physikalisch gar nicht möglich, was er da mache. Da lachte er wieder kurz und antwortete, dass das stimme und es in der Tat mit der Physik nicht zu erklären sei. Auf mein fragendes Gesicht hin fuhr er fort, dass er einfach Glück habe. Sehr, sehr großes Glück: Nicht abzustürzen, sondern in der Luft zu bleiben. Wie denn das sein könne, dass jemand solch ein Glück habe, fragte ich verwirrt. Nun, sagte er lächelnd, um solch ein Glück beim Fliegen zu haben, müsse er woanders eben ein großes Unglück haben. In diesem Moment rasten wir gegen einen Baum und starben.

~ von tlwomega - 29. März 2015.

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